Kulturelle Identität als Rettungspass
- Mayte M.G.

- 16. Okt.
- 2 Min. Lesezeit
Ich denke oft an Ithaka. Die Insel aus Homers Odyssee, die der Dichter Konstantinos Kavafis zu einem Symbol machte – für den Weg zu sich selbst. Während ich herausfinde, wer ich bin, weiß ich: das Ziel bleibt dieselbe Insel, auch wenn die Koordinaten sich ständig verschieben.
In den letzten Wochen habe ich viel über Identität nachgedacht. Wir alle wechseln sie wie Rollen: in der Familie, im Café mit einer Freundin, in der stillen Minute mit dem Partner oder in der Kaffeepause im Büro. Wer – wie ich – in einem anderen Land lebt, spürt, wie fließend Identität werden kann. Manchmal erkennt man sich selbst kaum wieder.

Neulich erzählte mir eine Mutter vor der Schule von einem Komiker, den in Deutschland alle kannten – in den 80ern, also in unserer Kindheit. Ich musste lachen und gleichzeitig fühlte ich mich fremd. Ich kannte ihn nicht. In diesem kleinen Moment spürte ich, dass meine eigene Kindheit woanders lag – und doch immer gegenwärtig ist.
Die Identität, in all ihren Formen, zeigt uns den Weg zurück nach Ithaka.
Als ich 25 war, flog ich nach London. Eigentlich war es nur eine Reise, doch sie veränderte alles. Ich erinnere mich an die Kälte, an den Bahnhof in Cheltenham, an die Dunkelheit eines Februarabends. Zum ersten Mal fühlte ich, wie Teile meiner Identität auf den Boden fielen – jene, die ich selbst gebaut hatte und jene, die mir mitgegeben wurden. Später zog ich nach Deutschland. Die Koordinaten verschoben sich wieder. Die Sprache, der Alltag, alles verlangte eine neue Form von Zugehörigkeit. Wie verändert sich unsere kulturelle Identität, wenn wir in einer Sprache leben, die nicht die eigene ist?
Der Schriftsteller Fernando Aramburu, der seit Jahrzehnten in Hannover lebt, sagte einmal in einem Interview mit Mara Torres (El Faro, Cadena SER), Schreiben sei für ihn ein Ort geblieben, an dem er seine Identität bewahren könne – ein Raum, um sich selbst zu begegnen.Als ich das hörte, verstand ich: Wir brauchen diese Räume, in denen unsere Gedanken weich landen dürfen, in unserer Sprache.
Mit der Zeit wächst auch mein eigener Raum. Ich verstehe meine neue Zugehörigkeit besser. Kinder zu haben, die in einem anderen Land aufwachsen, erweitert meine Perspektive – es entstehen neue kulturelle Bezugspunkte, die unsere Welt reicher machen.
Denn Identität bedeutet nicht nur, was uns unterscheidet, sondern auch, was bleibt. Was sich wiederholt, was uns – trotz aller Veränderungen – gleich bleiben lässt.Und mit diesem Gedanken schließe ich für heute den Kreis.
Von der Sonne Ithakas.
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